Amazon: Druck und Gegendruck

Ein wichtiger Teil von Amazons Erfolgsrezept ist es, die eigenen Verteilzentren gewerkschaftsfrei zu halten. Doch der Klassenkampf macht auch vor diesem Mega-Konzern nicht halt, wie Konstantin Korn anhand von Organisierungsversuchen in den USA und Italien zeigt.


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Amazon beschäftigt weltweit 1,3 Mio. ArbeiterInnen, allein in den USA sind es 1 Mio. Der Konzern gehört zu den großen Gewinnern der Corona-Pandemie und hat in den vergangenen Monaten massiv expandiert. Einer der jüngsten Standorte entstand vor etwas mehr als einem Jahr in der Kleinstadt Bessemer im US-Bundesstaat Alabama, einer Hochburg der rechten Republikaner. 85% der Amazon-Beschäftigten dort sind Schwarze, zwei Drittel sind Frauen. Die Eröffnung der Amazon-Niederlassung ist in dieser armen Gegend als große Chance gefeiert worden, zahlt Amazon doch deutlich über dem gesetzlichen Mindestlohn. Genau dort versuchte die Gewerkschaft dem Logistikkonzern eine erste große Niederlage zuzufügen. Die Retail, Wholesale and Department Store Union (RWDSU), die in den letzten Jahren in den Südstaaten mit kämpferischen Kampagnen schon mehrere Belegschaften erfolgreich organisiert hat, kämpfte seit November in diesem Verteilzentrum um offizielle Anerkennung.

Laut Gesetz müssen mindestens 30 Prozent der Belegschaft eine Petition unterschreiben, damit es im Betrieb zu einer Abstimmung kommen kann, ob die ArbeiterInnen die Gewerkschaft als ihre Vertretung legitimieren. Während Amazon sich in seinem öffentlichen Auftritt in Fragen des Umgangs mit den MitarbeiterInnen oder der Gleichbehandlung von Schwarzen oder LGBT-Personen betont fortschrittlich zeigt, versuchte der Konzern mithilfe der einflussreichen Rechtsanwaltskanzlei Morgan Lewis (einer der größten Firmen, die von einer Frau geführt werden!) diesen Organisierungsversuch im Keim zu ersticken, kam mit seinem Rechtseinspruch allerdings nicht durch.

Ausbeutung und Gesundheitskrise

Gerade die fehlenden Sicherheits- und Hygienekonzepte in den Amazon-Verteilzentren in Zeiten der Pandemie haben bei vielen ArbeiterInnen das Bewusstsein geschaffen, dass es höchste Zeit für Veränderung ist. Im vergangenen Oktober gab Amazon zu, dass 20.000 MitarbeiterInnen an Covid-19 erkrankt sind.

Chris Smalls, der von Amazon rausgeworfen wurde, weil er angesichts der vielen Covid-19-Infektionen unter seinen KollegInnen Sicherheitsmaßnahmen einforderte und einen Streik organisierte, erzählt über die Arbeitsbedingungen im Verteilzentrum: „Jede Schicht dauert 10 Stunden, und das vier Mal die Woche. Im vergangenen Jahr wurden die MitarbeiterInnen aber zu Überstunden verpflichtet, weil die Verkäufe so stark zugenommen haben. Die Wochenarbeitszeit hat deshalb immer 50-60 Stunden betragen. Eine Pause von 30 Minuten bei 10 Stunden Arbeit ist aber viel zu wenig.“

In der „New York Times“ erzählte Jennifer Bates, eine der ersten GewerkschaftsaktivistInnen in Bessemer, wie die Mittagspause aussieht: “ …sobald du den Arbeitsplatz verlässt, beginnt die Uhr zu ticken. Du hast exakt 30 Minuten, um dir Essen zu holen. Auf dem Weg zur Mensa musst du eine Strecke von rund 14 Fußballfeldern zurücklegen. Sich mitgebrachtes Essen in der Mikrowelle aufzuwärmen, geht sich nicht aus. Deshalb nehme ich mir meistens einfach ein Sandwich um 4 Dollar vom Automaten. Dann beeile ich mich, rechtzeitig zurückzulaufen. Wer zu langsam ist, bekommt Lohnabzüge oder fliegt raus.“

Maximale Produktivität ist bei Amazon das A und O. Die Würde der ArbeiterInnen kommt in diesem System der totalen Kontrolle und des ständigen Drucks unter die Räder.

Breite Kampagne

Die Organisierungskampagne bei Amazon in Alabama wurde nicht nur von Gewerkschaftshauptamtlichen, sondern auch von vielen einfachen Mitgliedern getragen. Eine wichtige Aktionsform waren Kundgebungen von Dutzenden AktivistInnen an den Kreuzungen auf den Zufahrtsstraßen zum Verteilzentrum. Wenn die Ampel auf Rot stand, diskutierten sie mit den Amazon-Beschäftigten und leisteten Überzeugungsarbeit. Amazon hat daraufhin bewirkt, dass die Rotphasen verkürzt wurden, aber die Kampagne ist längst tief in der Community verankert und Thema Nr. 1 in Bessemer und Umgebung. Stuart Appelbaum, der Vorsitzende der RWDSU, betont auch, dass es hier nicht nur um Löhne und Arbeitsbedingungen geht, sondern um Respekt gegenüber den großteils schwarzen ArbeiterInnen. Die Black Lives Matter-Proteste der letzten Monate haben in den Köpfen dieser KollegInnen sehr viel ausgelöst.

Umgekehrt betrieb Amazon einen großen Aufwand im ideologischen Kampf gegen die Gewerkschaft. In kleinen Versammlungen und mit SMS wurden die Beschäftigten gegen die RWDSU eingeschworen, und eine eigene Website sollte die KollegInnen informieren, warum es gar keine Gewerkschaft brauche. Die Massenmedien waren ebenfalls voll mit Nachrichten, die den Standpunkt des Unternehmens vertraten. Kurz vor Redaktionsschluss ereilte uns die Nachricht, dass die RWDSU die Abstimmung nicht gewinnen konnte. Diese Schlacht hat die Konzernleitung gewonnen, doch der Konflikt ist längst nicht mehr nur ein gewerkschaftlicher, sondern von großer politischer Tragweite und wird nicht den Endpunkt der gewerkschaftlichen Organisierungsversuche bei Amazon in den USA bilden.

Gewerkschaftliche Gegenwehr

Auch in Italien hat die Auseinandersetzung zwischen Amazon und den Gewerkschaften eine neue Qualität angenommen. Nachdem das Management die Verhandlungen über einen Kollektivvertrag platzen hat lassen, riefen die Gewerkschaften für 22. März zu einem 24stündigen Streik in allen Verteilzentren auf. Dieser erste landesweite Amazon-Streik war ein voller Erfolg, der sehr viel Solidarität erhielt. Der Betriebsrat bei UPS, in dem unsere GenossInnen eine starke Position haben, kündigte an, nicht als Streikbrecher zur Verfügung zu stehen und keine Waren für Amazon auszuliefern. Auf Initiative der MarxistInnen wurde auch eine Solidaritätsbotschaft an die KollegInnen in Alabama verfasst: „Wir Arbeiter und Delegierte des MXP5-Standortes in Castel San Giovanni, die heute streiken, stehen wie alle unsere Kollegen in den anderen Verteilzentren und Lieferfirmen in Italien an eurer Seite und unterstützen den Kampf der Amazon-Arbeiter in Alabama.“

Während in Österreich die Gewerkschaft den Standpunkt vertritt, man solle nicht bei Amazon einkaufen und stattdessen regional einkaufen, haben marxistische Amazon-ArbeiterInnen in Italien in einem Statement folgende Position formuliert: „Wir können dem Geschäftsmodell von Amazon nicht den Vorschlag entgegenstellen, dass wir im Geschäft ums Eck einkaufen gehen sollen, wo die Arbeitsbedingungen nicht unbedingt besser sind. Das würde sogar Amazon in die Hände spielen, weil das Unternehmen immer betont, nur die Bedürfnisse der Kunden befriedigen zu wollen. Unsere Alternative muss es sein, für bessere Arbeitsbedingungen bei Amazon zu kämpfen, und gleichzeitig müssen wir darauf hinweisen, dass dieses Unternehmensmodell in groben Zügen zeigt, was ein modernes System der Planung und Verteilung von notwendigen Waren für die Bevölkerung zu leisten imstande wäre.“

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